Tag der kommunalen Jobcenter 2016
Kommunen spielen Schlüsselrolle bei der Integration von Flüchtlingen
21. November 2016 - Berlin
Tagungsbericht
Der diesjährige Tag der kommunalen Jobcenter fand am 21.11.2016 in Berlin statt. Auf der alljährlich stattfindenden Konferenz erörterten die kommunalen Jobcenter die vielfältigen Herausforderungen bei der Integration von Flüchtlingen. Die wiederum ausgesprochen gute besuchte Tagung (vormals Tag der Optionskommunen) ist ein fester Termin für die Praktiker in den kommunalen Jobcentern, ebenso für Fachöffentlichkeit, Wissenschaft und Politik.
Die über hundert Landkreise und kreisfreien Städte, die das SGB II Jobcenter eigenverantwortlich, also ohne die Agentur für Arbeit, ausführen, veranstalten jährlich den Tag der kommunalen Jobcenter. Er fand zum wiederholten Male im Rahmen des Benchlearnings der Optionskommunen – einem selbst organisierten Austausch- und Verbesserungsprozess der kommunalen Jobcenter – statt. Der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städtetag unterstützen gemeinsam diesen Prozess. Die Fachtagung bot Raum und Gelegenheit für den Austausch von Experten aus Jobcentern, Wissenschaft, Politik und Fachöffentlichkeit.
Nach der Einführung in das Thema durch die ständige Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Städtetages, Beigeordnete Verena Göppert, analysierte Dr. Alexander Spermann (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) Erfahrungen, Erwartungen und Möglichkeiten der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Dabei verwies er auf die vormalige restriktive Herangehensweise an eine Arbeitsintegration von Flüchtlingen, die in den 1980er Jahren etwa in Gestalt langfristiger Arbeitsverbote anzutreffen war. Noch vor den größeren Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland im Jahr 2015 sei hier ein Paradigmenwechsel erfolgt, der eine möglichst frühzeitige Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive zum Ziel habe. Eine weitere Facette sei das Phänomen der temporären Migration. Einer der international führenden Migrationsforscher, Christian Dustmann aus Großbritannien, weise darauf hin, dass eine Migrationsentscheidung häufig nicht für ein ganzes Leben, sondern nur für einen Lebensabschnitt getroffen werde.
Im Anschluss an die wissenschaftliche Analyse des Themenbereichs stellten Vertreter aus kommunalen Jobcentern ihre konkreten Herangehensweisen an die Integration von Flüchtlingen vor. Der Vorstandvorsitzende des Jobcenters Wuppertal Thomas Lenz beschrieb die Bündelung der kommunalen Kompetenzen rund um geflüchtete Menschen im Haus der Integration in seiner Stadt. Landrat Henry Graichen (Landkreis Leipzig) berichtete von den besonderen Anstrengungen seines Landkreises für junge Geflüchtete. An die Länder richtete er die Aufforderung, den Bereich der Bildung als zentral für eine gelingende Integration insbesondere jugendlicher Flüchtlinge anzusehen und die länderseitigen Aktivitäten in diesem Feld zu verstärken.
Der erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow sowie die Jobcenterleiterin aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf Andrea Martin diskutierten mit dem Publikum die ganz konkreten und oftmals sehr kleinteiligen Herausforderungen der täglichen Integrationsarbeit, vor allem in Bezug auf die spezielle Situation geflüchteter Frauen. Zudem stellten sie anschaulich dar, dass ein zeitliches Nacheinander von Spracherwerb und Arbeitsmarktintegration nicht geeignet seien, eine wirksame und zudem zügige Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft zu gewährleisten. Stattdessen müssten beide Elemente möglichst frühzeitig miteinander verbunden und mit Integrationsangeboten verknüpft werden, die auf eine Verankerung in der Gesellschaft abzielen. Landrat Dr. Michael Lübbersmann (Landkreis Osnabrück) bestätigte und unterstrich diese Erkenntnisse. Überdies schilderte er den Ansatz in seinem Landkreis, gerade das vielfältige ehrenamtliche Engagement bestmöglich zu fördern und seitens des Landkreises zu koordinieren. Eine vor Ort gestaltete App für Smartphones sei dabei sehr hilfreich.
Eine sich daran anschließende Podiumsdiskussion zum Fragenkomplex „Trägt die Wohnsitzauflage zur Integration bei? Wie kann sie umgesetzt werden und was ist dazu erforderlich?“ rundete die Veranstaltung ab und beschäftigte sich mit den verschiedenen Sichtweisen auf dieses wichtige und vielschichtige Thema. Der Beigeordnete Peter Renzel (Stadt Essen) und Landrat Dr. Lübbersmann diskutierten mit dem Abteilungsleiter Eugen Turi (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Integration) sowie dem Referatsleiter Andreas Ribbeck (Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport) die Chancen und Umsetzungsprobleme der unterschiedlichen Möglichkeiten und gesetzlichen Vorgaben zur Wohnsitzzuweisung für anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte. Dabei wurde auch die unterschiedliche Betroffenheit in den Ländern und der demgemäß unterschiedliche Umgang mit den neuen gesetzlichen Möglichkeiten des Integrationsgesetzes Umgang herausgearbeitet. So verfügen bislang lediglich Bayern und Baden-Württemberg über eine entsprechende landesrechtliche Regelung zur Zuweisung eines bestimmten Wohnortes, wohingegen die Mehrzahl der Länder keine entsprechende Umsetzung plant. In Nordrhein-Westfalen, dessen besondere Betroffenheit von unrechtmäßig zuziehenden anerkannten Flüchtlingen insbesondere von Renzel geschildert wurde, tritt eine landesrechtliche Regelung im Dezember d. J. in Kraft.
Am Ende des Veranstaltungstages fasste die Beigeordnete des Deutschen Landkreistages Dr. Irene Vorholz die zentralen Erkenntnisse zusammen und blickte auf die in Zukunft anstehenden Aufgaben und Fragestellungen. Dabei kritisierte sie die von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vorgeschlagene Ausgliederung der Ausbildungsvermittlung für jugendliche SGB II-Empfänger aus dem SGB II: Der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städtetag haben in einem gemeinsamen Positionspapier die deutlichen Nachteile für die betroffenen Jugendlichen und für die Jobcenter aufgezeigt. Dies fand die volle Zustimmung der Teilnehmer beim Tag der kommunalen Jobcenter. Insgesamt ist wieder ein überaus positives Tagungsfazit zu ziehen: Knapp 300 Teilnehmer beim Kongress zeigten das große Interesse in der Fachöffentlichkeit an den behandelten Themenstellungen und den zahlreichen wichtigen fachlichen Impulsen für die Arbeit der Jobcenter, aber auch der Kommunen insgesamt mit Blick auf das kommunale Querschnittsthema der Integration von Flüchtlingen. Neben den Optionskommunen waren gemeinsame Einrichtungen, Landesministerien und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Vertreter der Wohlfahrtsverbände ebenso wie Beratungsunternehmen vertreten. Die lebendig und kenntnisreich von Hörfunkjournalist Dr. Heiner Wember moderierte Tagung bezog auch oft das Publikum mit ein, das zu konkreten Fragen oder Thesen mit roten und grünen Stimmkarten Zustimmung oder Ablehnung kundtun konnte.